Eine staatliche „After the Event“-Versicherung als Schutzschirm in der Corona-Krise

Die Umsatzausfälle durch das Corona-Virus sind in ihrer Höhe noch gar nicht einzuschätzen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, aber auch Solo-Selbständige, Freiberufler, Leiharbeitnehmer oder Wanderarbeiter haben noch keine Vorstellung davon, was auf sie zukommt. Ihnen fehlen oft finanzielle Rücklagen, um erhebliche Umsatzrückgänge zu verkraften. Sie müssen ihre Ausgaben reduzieren und verstärken dadurch Umsatz- und Einkommensrückgänge bei anderen. Möglicherweise sind sie gezwungen, zu tiefsten Preisen mit Krediten belastete Immobilien und andere Vermögenswerte zu verkaufen. Es droht eine Abwärtsspirale mit immer geringerer wirtschaftlicher Aktivität bis hin zur Auflösung ganzer Wirtschaftsbereiche, beispielsweise im Veranstaltungsgeschäft oder dem Tourismus. Es dürfte ein großer Konsens bestehen, dass diese staatlich veranlassten Umsatzausfälle im Interesse des Allgemeinwohls hinzunehmen sind. Aber ist es angemessen, dass die Folgen individuell zu tragen sind?

Angesichts der aktuellen Krise besteht die Gefahr, dass Kredite zwar getilgt werden, aber die Neukreditvergabe stoppt, weil die Kreditrisiken für Unternehmer und Banken nicht einzuschätzen sind. Selbst bei einer Bereitstellung von staatlich besicherten Überbrückungskrediten stellt sich für viele Betriebe die Frage, ob sie ihre Aktivitäten reduzieren oder einstellen und wie sie unkalkulierbare Risiken stemmen sollen. 

Eine verringerte Kreditgeldmenge reduziert die Kaufkraft sowohl an den Kapitalmärkten als auch am Markt für Güter und Leistungen. So kann eine deflatorische Kettenreaktion von weniger Geld und weiteren Kreditrückführungen aufgrund fallender Vermögenspreise – zum Beispiel für Aktien und Immobilien – entstehen. Die Frage stellt sich, ob und unter welchen Voraussetzungen nicht der Börsenhandel ausgesetzt werden sollte, damit Notverkäufe zu Tiefstpreisen mitten in der Krise nicht erfolgen können. Investmentbanken könnten sich dann auf die Primärmärkte konzentrieren.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sieht die Geldpolitik in der Corona-Krise nicht an vorderster Front (Interview in der WELT vom 21.3.2020). Tatsächlich scheinen die Instrumente der Geldpolitik in der Corona-Krise an ihre Grenzen zu kommen:  Zentralbankgeldschöpfung vor allem durch Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen stützt zwar Vermögenspreise,  hat aber keine wesentliche Wirkung auf den Markt für Güter und Leistungen. Der Handel mit bereits getätigten Finanzierungen am Sekundärmarkt führt nicht zu Liquiditätszuflüssen auf der Unternehmensebene, insbesondere nicht bei kleineren Akteuren. Die Verteilung von „Helikoptergeld“ wie in Hongkong und wohl bald auch in den USA würde zwar bis zu einem gewissen Grad die Zahlungsfähigkeit von Konsumenten sichern. Deren Nachfrage stabilisiert jedoch nicht die Nachfrage in den wirtschaftlich deaktivierten Sektoren wie beispielsweise Luftfahrt und Tourismus.

Eine staatliche „After the Event“-Umsatzausfallversicherung könnte hingegen in dieser Situation einer deflatorischen Kettenreaktion entgegenwirken. Sie würde für alle Marktteilnehmer den Abschluss neuer Verträge sicher machen und wäre eine wichtige Voraussetzung für eine fortgeführte Kreditvergabe.

Versicherungen übernehmen finanzielle Risiken, indem sie Schäden in ihrer finanziellen Wirkung zeitlich verteilen und streuen. Üblicherweise erfolgt dies durch Abschluß eines Versicherungsvertrages vor einem Schadeneintritt. Es ist jedoch durchaus möglich, eine Versicherung auch nach dem Eintritt eines Schadens – also „after the event“ – zu vereinbaren. Das ist insbesondere dann üblich, wenn die Kosten eines Schadens im Voraus gar nicht absehbar sind.

Für die aktuelle Corona-Krise könnte eine praktische Umsetzung wie folgt ausgestaltet werden:

Eine Notenbank stellt eine 100-jährige Finanzierung mit 0 Prozent Zinsen für einen „Corona-Ausgleichsfonds“ zur Verfügung. Es könnte eine Kreditlinie vorgehalten werden, die der Fonds monatlich abrufen kann und die insgesamt die Höhe der Rückgänge des Bruttosozialprodukts erreichen könnte.

Banken könnten durch den Fonds zunächst eine Besicherung für Überbrückungskredite an ihre Kunden erhalten. Die Banken kennen deren Umsätze und würden dann einen monatlichen Umsatzersatz in Höhe der durchschnittlichen Umsätze der vergangenen zwölf Monate als Darlehen leisten. Damit könnten die Unternehmen ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen. Die Höhe des Umsatzersatzes könnte im Laufe der Zeit sinken und nach Ablauf der Krisenbewältigungsmaßnahmen ganz entfallen. 

Im weiteren Verlauf könnten sich die Darlehensnehmer über eine staatliche „After the Event“-Umsatzausfallversicherung den entstandenen Schaden vom neu geschaffenen „Corona-Ausgleichsfonds“ erstatten lassen. Dies könnte beispielsweise über Versicherungsunternehmen abgewickelt werden, die die Erstattungsfälle für den Ausgleichsfonds prüfen und begleichen.

Voraussetzung für den Erhalt einer „After the Event“-Umsatzausfallversicherung wäre, dass die Unternehmen ihre Verpflichtungen vollständig erfüllen – sowohl gegenüber Lieferanten als auch gegenüber Kunden, Mitarbeitern, Banken und Anteilseignern. Ausschüttungen müssten ebenso daraus erfolgen wie ein angemessener Unternehmergewinn. Soweit möglich und erlaubt, müssten die Unternehmen ihr Produkt- und Dienstleistungsangebot aufrechterhalten. Gewinnsteigerungen würden zu einer Reduzierung von Ansprüchen führen. Bei Verstößen gegen die Auflagen zur Bekämpfung des Corona-Virus könnten solche Versicherungsleistungen teilweise reduziert werden oder ganz entfallen.

Die Tilgung nach der Krise könnte auf unterschiedliche Weise erfolgen: Konsequent wäre, dies als Pflichtversicherung für alle Unternehmen aus einer nachträglichen Prämienzahlung zu gestalten. Die Prämienhöhe wäre abhängig von der Höhe der jeweiligen zukünftigen Umsätze.

Die Vorteile einer derartigen staatlichen „After the Event“-Umsatzausfallversicherung dürften groß sein: Würden die Umsatzausfälle von vielleicht einem Jahr auf 100 Jahre mit 0 Prozent Zinsen solidarisch verteilt, wären die Folgekosten wohl kaum mehr spürbar. Eine solche solidarische Versicherung verhindert außerdem, dass einzelne Krisenprofiteure Nutzen aus der unverschuldeten Illiquidität anderer ziehen.

Aus europäischer Sicht wäre es nicht nur wünschenswert, sondern wahrscheinlich sogar zwingend, statt nationaler Ansätze einen gemeinsamen europäischen „Corona-Ausgleichsfonds“ einzurichten, mindestens jedoch für den Euro-Währungsraum. Denn von einer weiterhin funktionierenden Kreditgeldschöpfung profitieren alle Marktteilnehmer im Währungsgebiet. Entsprechend müssten auch alle zur langfristigen Tilgung beitragen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Das amerikanische, US-Dollar-basierte Finanzsystem ist äußerst leistungsfähig und entwickelt auch in der aktuellen Krise kreative Lösungen. Auch in China hat sich ein hoch entwickeltes Finanzsystem herausgebildet. Es wäre auch denkbar, einen Ausgleichsfonds über den IWF, beispielsweise durch die Bereitstellung von Sonderziehungsrechten, zu finanzieren; denn die Corona-Epidemie ist zweifelsohne ein weltweites Problem. 

Ein solches Konzept einer staatlichen „After the Event“-Umsatzausfallversicherung orientiert sich am erfolgreichen Marshallplan zum Wiederaufbau Europas nach dem zweiten Weltkrieg. Nur sollte man dieses Mal besser nicht warten, bis ein Krieg zu Ende ist; denn ein Neuaufbau mit erhaltenen Strukturen kann schneller erfolgen und ist viel humaner. Vor allem verhindert er Verteilungskämpfe. Letztlich profitieren doch alle, wenn die Aufgabe, Menschen zu schützen, von allen gemeinsam getragen wird.

Letzte Aktualisierung am 19.4.2020

Die Autoren, Frank-Martin Binder und Stefan Schmidt-Ammon, analysieren für Kaleidoskop Economics GmbH das neuartige Phänomen negativer Zinsen.

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