Worum geht es?
Neuerdings wird von immer mehr Geschäftsbanken ein negativer Zins auf Girokonten-Guthaben in Rechnung gestellt. Dadurch sehen sich Bankkunden wie Gewerbetreibende, Arbeitnehmer und Selbständige in ihren finanziellen Rechten beeinträchtigt – manche auch „enteignet“. Finanzielle Eigenverantwortung wird behindert und das Halten finanzieller Reserven für ungeplante Ereignisse und die Altersvorsorge werden erschwert. Gerade die aktuellen Liquiditätsprobleme aufgrund der Corona-Krise dürften durch negative Zinsen – also „Strafzinsen“ für das Halten von Geld – verstärkt worden sein. Rentnern wird vorgeschlagen, Aktien zu erwerben, und bei Pensionskassen, Lebensversicherungen und Krankenversicherungen mit Altersrückstellungen entstehen Belastungen, für die eine rechtliche Grundlage möglicherweise nicht besteht.
In Deutschland wird von Geschäftsbanken als Rechtsgrundlage für negative Zinsen in der Regel eine Zustimmung ihrer Kunden zu einem „Verwahrentgelt“ gefordert. Es stellt sich allerdings die Frage, was eigentlich verwahrt wird und warum die Höhe eines „Verwahrentgelts“ von der Höhe der negativen Zinsen abhängen soll, die Geschäftsbanken bei der EZB zu bezahlen haben.
Mit dem „Verwahrentgelt“ – in der Sache: den negativen Zinsen – reagieren die Banken darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihrer geldpolitischen Maßnahmen negative Zinsen eingeführt hat. Derzeit berechnet sie für über die Mindestreserve hinausgehende Guthaben von Geschäftsbanken bei der Zentralbank – die sogenannte „Einlagenfazilität“ – einen negativen Zins von -0,5 Prozent. Auch bei langfristigen Refinanzierungskrediten an Banken hat die EZB negative Zinsen eingeführt, aktuell bis zu -1 Prozent. Schließlich kauft sie im Rahmen ihrer Geldpolitik des „Quantitative Easing“ in großem Umfang Staatsanleihen mit negativen Renditen an.
Deutlich höhere negative Zinsen werden durchaus als mögliche geldpolitische Option angesehen. Die Deutsche Bundesbank berichtet in ihrem Monatsbericht vom April 2019 über einen „Schattenzins“, der bei -6 Prozent liegen könnte.
Durch Bargeldabhebungen könnten Bankkunden einem negativen Zins ausweichen. Ein Kontoguthaben begründet einen Anspruch auf Bargeldauszahlung. Bargeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel muss grundsätzlich von allen Gläubigern zum Ausgleich von Verbindlichkeiten akzeptiert werden. Dadurch trägt es ganz wesentlich zur Werthaltigkeit des bestehenden Geldsystems bei. Um höhere negative Zinsen durchzusetzen, wären wohl Bargeldbeschränkungen erforderlich.
Wie entsteht Geld heute? Kreditgeldschöpfung
Im Gegensatz zu häufig bestehenden Vorstellungen wird Geld in unserem Wirtschaftssystem nicht hoheitlich durch Zentralbanken geschaffen. Vielmehr entsteht es durch Kreditvergabe von Geschäftsbanken.
Während der Entstehung des heutigen Kreditgeldsystems erfolgten Einlagen bei Geschäftsbanken ursprünglich in Gold. Heute hat Kreditgeld grundsätzlich keine Beziehung mehr zu Gold, sondern durch Kreditgeldschöpfung von Geschäftsbanken ist werthaltiges Geld entstanden, indem durch Kredite neues Vermögen finanziert wurde.
Ein Beispiel soll dies illustrieren:
Wenn ein Grundstückseigentümer sein unbelastetes Grundstück einer Bank für eine Baufinanzierung als Sicherheit anbietet, kann die Bank in der Regel davon ausgehen, dass ein neu errichtetes Gebäude zusammen mit dem Grundstück einen Wert darstellt, der deutlich höher ist als der Kredit. Erzielbare Mieteinnahmen bieten die Möglichkeit, Zinsen für das Darlehen zu erhalten.
Begibt die Bank ein Darlehen, bucht sie als Vermögenswert die Darlehensforderung auf der Aktivseite ihrer Bilanz. Den Darlehensbetrag verbucht sie als Guthaben auf dem Girokonto des Darlehensnehmers, der damit die Baukosten gegenüber dem Bauunternehmer begleichen kann. Der Kontoinhaber hält damit eine sofort übertragbare Forderung gegen seine Bank. Die Bilanzsumme der Bank verlängert sich und es ist neues Kreditgeld – man spricht auch von Giralgeld – entstanden. Durch Bilanzverlängerungen im Bankensystem ist die Summe allen Geldes im Wirtschaftssystem – die Geldmenge – entsprechend gewachsen.
Soll das Geld übertragen – überwiesen – werden, wird die Forderung gegen die Bank an Dritte übertragen. Dafür muss die Bank des Empfängers das Guthaben übernehmen und verbucht dieses auf der Aktivseite ihrer Bilanz. Die Bank des Empfängers hält jetzt die Forderung gegenüber der Bank des Darlehensnehmers. Der Bauunternehmer erhält mit der Gutschrift auf seinem Konto eine Forderung gegen seine Bank.
Über einen Interbankenmarkt tauschen Geschäftsbanken untereinander Forderungen gegenüber anderen Banken, die sie im Rahmen von Überweisungen erhalten, aber vertraglich an andere Banken weitergeben müssen. Mit einer solchen Übertragung der Forderung kann eine Bank nur einverstanden sein, wenn sie die Vermögenswerte der Bank des Überweisenden für werthaltig hält, denn sonst bestehen für sie Verlustrisiken.
Kreditgeldschöpfung durch Banken ermöglicht zusätzliche privatwirtschaftliche Tauschaktivitäten und diszipliniert gleichzeitig unternehmerische Risikobereitschaft, weil Banken Verluste vermeiden wollen und bei zu vielen fehlerhaften Kreditvergaben selbst Insolvenz anmelden müssen. Unternehmer strengen sich an, marktfähige Produkte anzubieten, und Banken strengen sich an, Fehler zu verhindern. Ein privates Banksystem stellt somit ein effizientes Risikokontrollsystem in der Marktwirtschaft dar.
Werden Kredite zurückgezahlt, verkürzen sich die Bilanzen der Banken wieder und die Geldmenge sinkt. Deshalb werden laufend neue Kredite benötigt, wenn die Geldmenge nicht schrumpfen soll.
Geld entsteht mithin primär aus privatwirtschaftlichen Geschäften. Das hoheitliche Recht, gesetzliche Zahlungsmittel zu bestimmen, sowie das alleinige Recht zur Bargeldversorgung behalten sich jedoch die Staaten vor. Aufgrund seiner Relevanz wird das privatwirtschaftliche Geld- und Bankensystem von Staaten reguliert und überwacht.
Welche Funktion haben Zentralbanken? Zentralbankgeldschöpfung
Ursprünglich haben Zentralbanken vor allem die Funktion einer Clearingbank. Sie führen Konten von Geschäftsbanken und wickeln den Zahlungsverkehr zwischen Banken ab. Sie vergeben Kredite an Banken, damit diese im Zahlungsverkehr liquide sind. Dadurch entfällt die Notwendigkeit für Geschäftsbanken, sich an einem Interbankenmarkt gegenseitig Kredite zu gewähren, um Überweisungen ihrer Kunden durchführen zu können.
Kredite an Nicht-Bankenwurden von Zentralbanken in den meisten Ländern nicht vergeben. Noch immer liegen die Chancen und Risiken aus Kreditgeldschöpfung überwiegend bei Geschäftsbanken. Die Zentralbank wirkt jedoch mit geldpolitischen Instrumenten auf die Kreditvergabe von Geschäftsbanken und damit das Geldmengenwachstum ein. Ganz wesentlich beeinflusst sie dabei die Zinshöhe. Die Bilanzsumme der Zentralbanken weitet sich durch Kreditgeldschöpfung nicht direkt aus.
Direkt schaffen Zentralbanken ihrerseits durch Kreditvergaben an Banken und eine Verlängerung der eigenen Blianzlediglich Zentralbankgeld – in Form von Zentralbankguthaben von Geschäftsbanken. Grundsätzlich können sie das in unbegrenztem Maße tun und damit ihre Bilanzsummen unbegrenzt mit Zentralbankgeld verlängern. Eine Überschuldung kann nicht eintreten, denn Zentralbanken wie die EZB oder die Bundesbank sind qua Gesetz „insolvenzunfähig“, weil sie hoheitliche Aufgaben übertragen bekommen haben.
Eine Erhöhung der Geldmenge bei Geschäftsbanken kann, muß aber nicht die Folge sein. Wäre die Zentralbank für Geschäftskunden tätig, könnte sie direkt die Geldmenge steuern.
Was ist Geld? Geld als Vertrag
Geld ist heutzutage entweder Papiergeld oder Kreditgeld – also Guthaben bei Banken. Kreditgeld ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen Banken und ihren Kunden. Kundenguthaben bei Banken werden als Verbindlichkeit der Bank in ihrer Bilanz ausgewiesen. Gegenüber ihren Kunden weisen Banken ihre Verbindlichkeiten als „Konten“ aus. Das Guthaben auf dem Konto ist eine Forderung des Kunden gegen seine Bank.
Mit dem Kontoguthaben entsteht eine Forderung des Kunden gegenüber den Vermögenswerten der Bank – und damit vor allem gegenüber ihrem Kreditportfolio. Dies zeigt sich insbesondere im Fall einer Bankeninsolvenz, sofern nicht gesetzliche oder freiwillige Einlagensicherungssysteme greifen. Die Werthaltigkeit von Kreditgeld wird letztlich bestimmt durch die Werthaltigkeit des Kreditportfolios des Bankensystems.
Bankguthaben werden als Gegenleistung (Zahlung) akzeptiert, weil sie ein wertunabhängiger Anteil an finanzierten Vermögenswerten sind (Wertaufbewahrungsmittel) und damit eigene Zahlungsversprechen eingegangen und eigene Verbindlichkeiten für andere Geschäfte kalkuliert werden (Recheneinheit) sowie die Übertragung effizient und frei von physischen Risiken erfolgen kann (Tauschmittel).
Grundsätzlich haben Bankkunden auch einen Anspruch darauf, dass ihr Guthaben von der Bank als Papiergeld ausgezahlt wird. Geschäftsbanken können ihre Zentralbankguthaben in Papiergeld tauschen und damit den Bargeldbedarf ihrer Kunden sicherstellen. Papiergeld war historisch ein Anspruch auf Herausgabe von Gold. Heute ist es ebenfalls eine Forderung – und zwar gegenüber der Zentralbank. Dem Papiergeld stehen die Vermögenswerte der Zentralbank gegenüber.
Angesichts einer Insolvenzunfähigkeit von Zentralbanken stellt sich die Frage, inwiefern ein wirtschaftlicher Durchgriff auf diese Vermögenswerte besteht und welcher Wert Papiergeld dann beizumessen ist. Der Halter von Papiergeld hat jedoch immerhin einen Anspruch auf die Vermögenswerte einer Zentralbank, wenn diese liquidiert wird.
Im Euroraum ist Papiergeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel ein Anspruch darauf, mit diesem jederzeit und gegenüber jedem seine Zahlungsverpflichtungen erfüllen zu können. Bargeldbeschränkungen, die ja aufgrund von Regelungen gegen Geldwäsche und Terror-Finanzierung bereits heute in wesentlichem Umfang existieren, stehen dazu allerdings im Widerspruch.
Mit der Kombination von mangelndem Zugriff auf die Vermögenswerte der Zentralbank sowie erheblichen Einschränkungen bei der Bargeldverwendung ist der Anspruch gegen die Zentralbank eigentlich inhaltsleer. Papiergeld wird so in relevantem Umfang entwertet. Dies wirft die Frage auf, welche Verpflichtungen sich aus dem Ausgabemonopol der Zentralbank ergeben.
Werthaltigkeit von Kreditgeld – Insolvenzen erhalten den „intrinsischen Wert“
Wie oben beschrieben ermöglicht Kreditgeldschöpfung das Entstehen zusätzlichen Vermögens. Einer erhöhten Produktion stehen zusätzliche Kapitaleinkommen entgegen. Solange die Aktiva des Bankensystems im Wert über den Bankguthaben liegen, besteht ein positiver „intrinsischer Wert“ von Geld. Wenn Kredite mit bestehenden Vermögenswerten besichert werden, ist Kreditgeld zusätzlich durch dingliche Sicherheiten gedeckt. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Entgegennahme von Geld im Tauschverkehr wirtschaftlich vorteilhaft und Kreditgeld wird freiwillig verwendet.
Wenn erkennbar ist, dass der intrinsische Wert von Geld negativ ist, kann beim Erbringen von Leistungen für solches Geld nicht mit einer Gegenleistung in gleicher Höhe gerechnet werden. Die Akzeptanz des Geldes sinkt tendenziell und die Verwendung muss möglicherweise erzwungen werden.
Insolvenzen spielen eine entscheidende Rolle für den Erhalt eines intrinsischen Wertes von Geld.
Können aufgrund von Fehlentwicklungen Verträge nicht mehr eingehalten werden, sorgt das rechtliche Instrument einer Insolvenz für eine Bereinigung.
Muss ein Unternehmen aus Überschuldung Insolvenz anmelden, werden häufig Vermögenswerte veräußert und Veräußerungserlöse zusammen mit verbliebenen Bankguthaben zur Entschuldung verwendet. Dies führt zu einer Verkürzung der Bilanzsummen im Bankensystem und damit zu einer Reduzierung der Kreditgeldmenge.
Geht ein Unternehmen durch Zahlungsunfähigkeit insolvent, existieren in der Regel bereits keine Guthaben auf Konten mehr. Durch die Insolvenz reduziert sich die Geldmenge daher zunächst nicht. Erst wenn in der Folge im Banksystem Kredite zurückgeführt werden müssen, sinkt auch die Geldmenge.
Insolvenzen von Banken reduzieren die Geldmenge direkt, wenn Bankkunden eine Reduzierung ihrer Guthaben hinnehmen müssen. Um negative Kettenreaktionen infolge von Bankinsolvenzen zu reduzieren, werden Kundeneinlagen durch Einlagensicherungssysteme bis zu einem gewissen Umfang vor Verkürzung geschützt.
Insolvenzen reduzieren zwar die Geldmenge. Finden sie nicht statt, verringert sich allerdings in der Konsequenz der intrinsische Wert von Geld.
Was sind Zinsen?
Kredite dienen meist der Finanzierung von Investitionen, mit denen zusätzliche Produkte oder eine erhöhte Produktivität erzeugt werden können. Kreditnehmer sind im Wettbewerb um Finanzierungsmittel bereit, Banken an ihren Gewinnen in Form von Zinsen zu beteiligen. Im Wettbewerb um Kundeneinlagen müssen Banken ihrerseits einen Teil der von ihnen erhaltenen Zinsen an ihre Kunden weitergeben.
Durch Kredite für Konsum entstehen hingegen keine zusätzlichen Produkte, aus denen Zinsen finanziert werden können. Dies gilt auch für Staatskredite, die in hohem Maß für konsumtive Zwecke verwendet werden.
Die Abgrenzung zwischen konsumtiven und investiven Krediten ist jedoch in vielen Fällen fließend. Ist zum Beispiel die Nahrungsaufnahme eines Handwerkers nur Konsum oder erhöht sie seine Produktivität?
Repressionspolitik – Zentralbankgeldschöpfung „on steroids“
Seit der Finanzkrise 2008 betreiben Zentralbanken weltweit Repressionspolitik. Sie wollen Deflation bzw. einer möglichen Depression entgegenwirken. Seitdem finanzieren Zentralbanken nicht nur Banken.
Mit „Quantitative Easing“ betreiben sie in immer größerem Stil Zentralbankgeldschöpfung, indem sie Staats- und Unternehmensanleihen am Markt erwerben. Ihre Bilanzsumme verlängert sich, wenn sie an den Börsen gehandelte Wertpapiere (Sekundärmarkt) erwerben und dafür Guthaben auf Konten bereitstellen. Durch den Erwerb übernimmt die Zentralbank bereits bei der Herausgabe der Wertpapiere erfolgte bestehende Finanzierungen und deren Ertrag. Ist der Begünstigte des Verkaufs eine Bank, erhöht sich lediglich die Zentralbankgeldmenge, also nicht die Kaufkraft von Bankkunden. Ist die Bank hingegen Zwischenhändler oder Agent, hält der Verkäufer danach zusätzliches Geld in Form von Guthaben bei seiner Bank. Die wirtschaftliche Aktivität erhöht sich dadurch zwar noch nicht, aber eine erhöhte Geldmenge kann Käufe auslösen. Bleiben diese aus, sinkt die Geldumlaufgeschwindigkeit. Marktteilnehmer erhöhen ihre Liquidität und damit ihre Fähigkeit, auf unerwartete Einnahmeausfälle oder Kostenerhöhungen zu reagieren.
Möglich ist auch, dass langlebige Wirtschaftsgüter wie Immobilien, Kunst oder Oldtimer nachgefragt werden und deren Preise steigen. Das kann zu einer Vermögenspreisinflation führen, weil der gestiegenen Kaufkraft ein begrenztes Angebot entgegensteht.
Eine erhöhte Nachfrage nach Wertpapieren durch die Zentralbanken einerseits und liquider Investoren andererseits führt zu Preissteigerungen bei Anleihen und damit fallenden Renditen. Das Zinsniveau fiel in der Folge der Repressionspolitik weltweit tendenziell Richtung Null. Das Geldangebot erhöhte sich im Gegenzug stark.
Durch die EZB werden vermehrt Anleihen von Unternehmen am Primärmarkt erworben. Unternehmen erhalten damit direkt Kredite von der Zentralbank, mit denen sie zusätzliche Geschäfte tätigen können. So kann die Zentralbank direkt ein Wachstum der Geldmenge bewirken und wirtschaftliche Aktivitäten ermöglichen. Die Risikokontrolle durch Geschäftsbanken im klassischen Kreditgeldschöpfungsprozess wird ersetzt, wenn Unternehmen Finanzierungen vom Markt für Unternehmenskredite auf Wertpapieremissionen verlagern.
Zentralbankgeldschöpfung der EZB zur Herbeiführung negativer Zinsen
Historisch sind an Märkten ohne Interventionen der Zentralbanken nie negative nominale Zinsen bei der Kreditvergabe durch Geschäftsbanken entstanden. Zentralbanken können jedoch mit ihren Privilegien die Zentralbankgeldmenge unbegrenzt erhöhen. Wenn die EZB auf Zentralbankguthaben negative Zinsen erhebt sowie durch immer niedrigere negative Zinsen Kursgewinne bei Anleihen realisiert, kann sie ihrerseits ohne Verluste Darlehen mit negativen Zinsen an Geschäftsbanken vergeben oder beim Erwerb von Anleihen am Sekundärmarkt negative Renditen hinnehmen. Bedenklich ist allerdings, dass auch für die Zentralbank erhebliche Wertberichtigungen auf Anleihenbestände anfallen dürften, wenn das Zinsniveau wieder ansteigt.
Seit geraumer Zeit erhebt die EZB nicht nur negative Zinsen auf Zentralbankguthaben, sondern sie vergibt auch langfristige Refinanzierungsdarlehen (TLTRO) zu negativen Zinsen an Geschäftsbanken und nimmt beim Erwerb von Anleihen am Sekundärmarkt negative Renditen hin. Das Ergebnis: Im Euroraum rentieren mittlerweile 10-jährige Staatsanleihen einiger Länder deutlich negativ.
Dass im EZB-System die Möglichkeit noch weit höherer negativer Zinsen als derzeit in Betracht gezogen wird, kann man, wie am Anfang schon erwähnt, beispielsweise einer Publikation der Deutschen Bundesbank entnehmen. In ihrem Monatsbericht vom April 2019 führt sie aus, dass durch die stark erhöhte Geldmenge die Zinsen möglicherweise auf -6 Prozent fallen könnten, wenn die EZB dies zulassen würde.
Geschäftsbanken könnten sich theoretisch einer Belastung durch negative Zinsen entziehen, indem sie ihre Zentralbankguthaben über den Interbankenmarkt an andere Geschäftsbanken verleihen, also durch gegenseitige Kredite Zentralbankeinlagen jenseits der verpflichtenden Mindestreserve überflüssig machen. Da allerdings die Zentralbank auch den langfristigen Zins drückt und zudem am Primärmarkt für Unternehmensanleihen tätig ist, finden Geschäftsbanken derzeit wenig Kreditvergabemöglichkeiten zu höheren Zinssätzen. Erschwerend kommt hinzu, dass eine verschärfte Bankenregulierung die Kreditvergabe behindert. Die Banken leihen sich daher auch kein Geld am Interbankenmarkt.
Dieser Markteffekt wird verstärkt durch das Bedürfnis der Geschäftsbanken nach Sicherheit vor Forderungsausfällen und möglichen Bankinsolvenzen. Nach wie vor bestehen hohe Risiken in den Bankbilanzen. Die Zentralbank ist aufgrund ihrer Insolvenzunfähigkeit die vielleicht einzige „sichere Bank“. Für diesen Schutz ist es vorteilhaft, wenn Geschäftsbanken eben negative Zinsen in Kauf nehmen – zumindest bei bisher noch relativ geringen negativen Zinssätze. Sie versuchen allerdings jetzt zunehmend, die negative Zinslast auf ihre Kunden zu überwälzen. Die Notwendigkeit dafür steigt, weil höher verzinsliche alte Darlehen sukzessive auslaufen.
Negative Zinsen – Wirkung und rechtliche Zulässigkeit
Kreditgeld entsteht durch den Abschluss eines privatrechtlichen Darlehensvertrags eines Kreditnehmers mit einer Bank. Im Gegenzug entsteht bei dem Kreditnehmer eine Gegenforderung – Kreditgeld. Im Bankensystem werden Forderungen und Verbindlichkeiten, die letztlich zwischen Endkunden bestehen, zwischen Banken und Endkunden übertragen. Mit geldpolitisch herbeigeführten negativen Zinsen reduzieren sich diese sukzessive. Damit wirkt die EZB auf Änderungen in bestehenden privatrechtlichen Verträgen hin.
Im Geschäftsverkehr gilt das Nominalprinzip beim Abschluss von Verträgen. Marktteilnehmer basieren ihre wirtschaftlichen Entscheidungen auf Preisen, die sie über Bedarf und Verfügbarkeit von Produkten informieren. Sie streben nominale Überschüsse an, damit sie nicht insolvent werden. Mit Kreditgeld kann man nominal eindeutige Verbindlichkeiten eingehen und auch komplizierte Geschäfte kalkulieren. Daher hat Kreditgeld seine große Bedeutung, nicht nur als Zahlungsmittel sondern auch als Recheneinheit. Mit negativen nominalen Zinsen, die durch die Zentralbanken jederzeit hoheitlich verändert werden können und für die Marktteilnehmer nicht vorhersehbar sind, entfällt ein wesentlicher Vorteil von Kreditgeld. Eigene Verbindlichkeiten können möglicherweise aufgrund hoheitlicher Aktivitäten ohne eigenes Verschulden nicht mehr erfüllt werden. Ein heute geschlossener Kaufvertrag kann vielleicht zum Lieferzeitpunkt in der Zukunft nicht mehr bezahlt werden. Marktwirtschaftliche Tauschprozesse werden bei höheren negativen Zinsen dysfunktional.
Besonders deutlich wird das erhöhte Kalkulationsrisiko beim Abschluss von langfristigen Baufinanzierungsverträgen. Würde bei einer Restlaufzeit von 15 Jahren und einem Darlehenszins von 1 Prozent der Zins für neue Darlehen auf -6 Prozent fallen, könnte bei einer vorzeitigen Darlehenstilgung eine Vorfälligkeitsentschädigung anfallen, die höher als der ursprüngliche Darlehensbetrag ist. Wer will da noch langfristige Finanzierungen abschliessen? Bei einer Nutzungsdauer eines Hauses von mehr als 20 Jahre empfiehlt sich jedoch eine kalkulierbare 20-jährige Zinsbindung, denn bei einer kurzen Zinsbindung entsteht ein Zinsänderungsrisiko, das unkalkulierbare Risiken für Banken und Darlehensnehmer bedeutet.
Mit negativen Zinsen werden bestehende Forderungen verkürzt – zunächst und in erster Linie Forderungen von Geschäftsbanken gegenüber der Zentralbank. Möglich ist dies nur aufgrund der faktisch marktbeherrschenden Stellung der Zentralbanken. Wirtschaftlich betrachtet „enteignen“ sie Geschäftsbanken und machen diese zu Gehilfen im Hinblick auf die Reduzierung von bestehenden Verbindlichkeiten. Neben den wirtschaftlichen Konsequenzen stellt sich aber auch die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Zentralbanken des Eurosystems negative Zinsen auf die bei ihr unterhaltenen Konten von Geschäftsbanken erheben. Durch welchen Rechtsakt geben Geschäftsbanken dazu ihre Zustimmung? Oder wird diese gar nicht benötigt?
Bei Anleihen mit negativer Rendite erhalten Emittenten keine Zinszahlungen von Darlehensgebern, sondern der Auszahlungsbetrag der Anleihe liegt unter der Rückzahlungsverpflichtung. Schuldner können auf diese Weise bestehende Darlehen zu negativen Zinsen umfinanzieren und dabei ihre Verbindlichkeit reduzieren. Eine Zentralbank, die negativ rentierende Anleihen aufkauft und gleichzeitig negative Zinsen gegenüber Geschäftsbanken erhebt, könnte somit den Abschreibungsbedarf auf nicht werthaltige Kredite im Bankensystem mittels negativer Zinsen auf Bankkunden überwälzen und über die Zeit verteilen. In gewissem Umfang ersetzen so geldpolitisch herbeigeführte negative Zinsen Insolvenzen. Das Rechtsprinzip, dass der für die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen Verantwortliche die Konsequenzen für sein Handeln zu tragen hat, bleibt allerdings auf der Strecke.
In diesem Kontext stellt sich eine Vielzahl weiterer rechtlicher Fragen:
Ist der Staat Begünstigter einer derartigen „Umverteilung“, könnte man das wohl als eigentumsbelastenden Eingriff bewerten. Werden andere Marktteilnehmer begünstigt, könnte es sich um eine unzulässige Subvention handeln, die aufgrund von Maßnahmen der EZB durch Inhaber von Bankguthaben finanziert werden müssen. Viele Unternehmen und Gewerbetreibende haben gar keine Möglichkeit, einer solchen Finanzierung auszuweichen. Sie sind zwingend auf das Halten von Bankguthaben angewiesen.
Wirtschaftlich begründet die EZB die Erhebung negativer Zinsen durch Abbuchungen von Zentralbankkonten mit der Notwendigkeit, einer Deflation entgegenzuwirken und wirtschaftliche Aktivität zu befördern. Sie „bestraft“ daher Banken und indirekt auch Bankkunden, wenn diese keine neuen Kredite aufnehmen. Sie „bestraft“ damit aber auch das Vorhalten finanzieller Reserven zur Risikovorsorge, zur Altersvorsorge oder um auf interessante Investitionschancen zu warten.
Aus ökonomischer Sicht stellt sich auch die ganz grundsätzliche Frage, ob negative Zinsen – wie von den Zentralbanken angestrebt – dazu geeignet sind, Deflation zu verhindern. Immerhin reduzieren sie zunächst bestehende Guthaben und damit auch die Geldmenge. Ihr primärer Effekt ist somit deflatorisch. Diese Maßnahme der EZB wirkt nur, wenn die Erwartung der Notenbank zutrifft, dass bei negativen Zinsen die Kreditnachfragesteigt und mehr Investitionen kreditfinanziert getätigt werden. Bestehen allerdings in der Wirtschaft erhebliche Erwartungsstörungen, könnte der gewünschte inflatorische Effekt ausbleiben. Wenn Marktteilnehmer keine Kredite aufnehmen, kann das viele Gründe haben, nicht zuletzt auch regulatorische Vorgaben. Manchmal ist Abwarten besser, als Kredite aufzunehmen – auch wenn diese günstig sind. Zum Beispiel könnte bei einem geplanten Bauvorhaben noch nicht feststehen, ob eine Infrastrukturmassnahme umgesetzt wird oder nicht. Macht es dann Sinn, nur wegen günstiger Zinsen Kredite aufzunehmen und spekulativ zu bauen?
Zudem könnten Banken entdecken, dass sie durch Kredittilgungen die Zentralbankgeldmenge und damit ihre Zinsbelastung reduzieren können. Dann würden negative Zinsen möglicherweise zu einer Senkung des Geldangebots beitragen und auf diese Weise deflationäre Wirkung entfalten.
Durch negative Zinsen wird das Geschäftsmodell privater Banken wirtschaftlich ausgehebelt. Geschäftsbanken verdienen an der Vergabe von Krediten für Geschäftskunden. Sie profitieren an der verzinslichen Kreditvergabe und benötigen Zinsgewinne, um Abschreibungen finanzieren zu können. Können sich Geschäftskunden zunehmend über die Zentralbanken am Kapitalmarkt finanzieren, kommt es zu einem „Crowding Out“ des privaten Bankgeschäftes, das in der Vergangenheit eine ganz wesentliche Voraussetzung für wirtschaftliche Erfolge war. Ohne Zinsmarge werden Geschäftsbanken zu reinen Vermittlungsagenturen von Zentralbanken. Letztlich entscheiden dann Zentralbanken, für welche Zwecke Kreditgeldschöpfung erfolgt. Über Repressionspolitik mit negativen Zinsen können sie staatliche Gestaltungsziele und sogar Geschäfte mit negativen Renditen finanzieren.
Auch rechtlich dürfte dieses „Crowding Out“ als hoch problematisch zu bewerten sein. Das Recht zur Geldschöpfung zwischen Banken und Investoren ist Ausfluss der Vertragsfreiheit, die sich für Deutschland wiederum aus der Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit in Artikel 2 Abs.1 GG ableitet. Für andere europäische Staaten dürfte Vergleichbares gelten. Eine gesetzliche oder durch hoheitliche Akte hervorgerufene Einschränkung muss im öffentlichen Interesse und angemessen sein. Ein Verbot oder eine faktische Abschaffung wäre ein sehr schwerwiegender Eingriff in Grundrechte.
Rechtliche Zulässigkeit von Verwahrentgelten und Bargeldbeschränkungen
Um die Belastungen durch negative Zinsen an ihre Kunden weiterzugeben, berechnen zahlreiche Banken ein „Verwahrentgelt“. Zweifel an der Zulässigkeit dieser rechtlichen „Konstruktion“ wurden jedoch angemeldet und durch erste Gerichtsurteile auch bestätigt.
Bankeinlagen sind eine Gegenforderung aus der Vergabe von Kredite von Geschäftsbanken. Im Fall einer Insolvenz einer Bank haben Inhaber von Bankguthaben einen Anspruch gegen die Insolvenzmasse der Bank. Reicht diese nicht aus, um alle Forderungen zu erfüllen, müssen Bankkunden mit Verlusten auf ihre Forderungen gegen die Bank rechnen. Bei einer echten Verwahrung, wie zum Beispiel bei Wertpapieren oder dem Inhalt eines Schließfaches, ist dies normalerweise nicht der Fall.
Die Banken beschreiben nicht, was genau sie verwahren. Eine Verwahrung von Bargeld kann es jedenfalls nicht sein, denn Banken halten allenfalls geringe Kassenbestände und es gibt bedeutend weniger Bargeld als Bankguthaben. Wird von Bankkunden die Auszahlung von Bargeld gefordert, wird dieses von der Zentralbank bereitgestellt. Entweder wird das Zentralbankguthaben der auszahlenden Bank belastet oder es kann auf Kredit bereitgestellt werden. Rechtlich haben Banken eine Verbindlichkeit gegenüber ihren Kunden. Verbindlichkeiten werden jedoch nicht verwahrt. Es stellt sich die Frage, ob es rechtlich zulässig ist, mittels einer Verwahrgebühr Forderungen in einer Höhe zu reduzieren, die sich an negativen Zinsen auf Zentralbankguthaben einer Geschäftsbank orientiert.
Inzwischen ist es Geschäftspolitik vieler Banken, Kontoführungsverträge auch bei langjährigen Bestandskunden zu kündigen, wenn diese keine Vereinbarungen über Verwahrentgelte abschliessen wollen. Da mittlerweile sehr viele bekannte Banken Verwahrentgelte erheben, hat der Kunde letztlich kaum eine Alternative dazu, den Vertrag zu akzeptieren. Es wäre zu prüfen, ob es wettbewerbsrechtlich zulässig ist, dass alle Banken ähnliche Gebühren berechnen.
Gibt ein Bankkunde keine andere Kontoverbindung an, an die im Falle einer Kündigung das Guthaben überwiesen werden soll, kann die Bank ihre Verbindlichkeit durch die Übergabe von Bargeld begleichen. Auf den ersten Blick erscheint das Halten von Bargeld durchaus als eine Option, keine negativen Zinsen akzeptieren zu müssen. Bargeld ist zwar das gesetzliche Zahlungsmittel, es kann aber in der Praxis aufgrund von bestehenden Regulierungen kaum mehr in größerem Umfang verwendet werden.
Angesichts dieser Beschränkungen stellt sich die Frage, ob das Kündigen einer Forderung gegen die Bank durch Übergabe von Bargeld noch zulässig sein darf. Muss nicht deshalb ein Anspruch bestehen, dass Konten fortgeführt werden, ohne dass die Forderung in ihrer Substanz entwertet wird? Belastungen dürften dann nur für diejenigen Kosten der Bank erfolgen, die für die Erbringung von erbrachten Leistungen anfallen. Negative Zinsen, die eine durch die EZB durchgesetzte Verkürzung von Forderungen der Bank sind, dürften nicht überwälzt werden.
Konsequent und wirtschaftlich eine Voraussetzung dafür wäre, dass die Belastung von Zentralbankguthaben mit negativen Zinsen und andere Massnahmen der EZB, die zur Durchsetzung von negativen Zinsen erfolgen, rechtlich unzulässig sind.
Alternativ wären Bargeldbeschränkungen unzulässig.
Ausblick
Die vorstehend aufgeworfenen rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme könnten wohl weitestgehend vermieden werden, wenn die Grenze geldpolitischer Impulse bei Zinsen von Null Prozent läge. Dies wäre zwar für Schuldner nur ein Moratorium und kein befreiender Schuldenerlass. Aber früher oder später entstehen neue Chancen oder Investitionsbedarf durch Alterung und Veränderung der Marktverhältnisse.
Guthaben in Euro werden europaweit gehalten und Inhaber kommen aus einer Vielzahl von Ländern. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der hoheitlich herbeigeführten negativen Zinsen haben weltweite Wirkung. Entscheidungsträger beachten bisher wenig, dass negative Zinsen auch zu Dumping-Vorwürfen aus dem Ausland führen können. Denkbar ist auch, dass negative Zinsen als unzulässige Subvention eingeordnet werden könnten.
Ob also geldpolitisch herbeigeführte negative Zinsen eine wirtschaftlich vorteilhafte Politikgestaltung sind, steht sehr in Frage.
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